
Schluss mit "Sehr geehrte/r Herr/Frau"?
Hand aufs Herz: Fragen Sie Ihre Kunden beim Online-Kauf oder bei der Anmeldung auch immer nach der Anrede "Herr" oder "Frau"? Klingt harmlos, oder? Ist ja schließlich höflich und gehört irgendwie dazu.
Dachte sich auch das große französische Eisenbahnunternehmen SNCF Connect. Bis der Europäische Gerichtshof (EuGH) ihnen Anfang Januar einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Und was das für Sie und Ihr Unternehmen bedeutet, schauen wir uns jetzt mal genauer an.
Worum ging's überhaupt? Der Fall SNCF Connect
Stellen Sie sich vor, Sie wollen online ein Zugticket kaufen. Sie geben Start, Ziel, Datum ein und dann... Plopp... ein Feld: "Anrede". Sie müssen wählen: "Herr" oder "Frau". Genau das hat SNCF Connect gemacht. Immer. Systematisch. Pflichtangabe.
Eine französische Organisation namens Association Mousse, ein Zusammenschluss zur Bekämpfung von Diskriminierungen aufgrund von Geschlecht, Gender und sexueller Orientierung, fand das nicht gut. Sie sagten: "Moment mal, wozu braucht ihr denn die Info, ob jemand 'Herr' oder 'Frau' ist, um ein Ticket zu verkaufen? Das ist doch völlig unnötig!" Sie sahen darin einen Verstoß gegen ein wichtiges Datenschutzprinzip: die Datenminimierung. Klingt kompliziert, heißt aber nur: Man darf nur die Daten sammeln, die man für die Zweckerfüllung der Verarbeitung wirklich braucht, nicht mehr.
Die französische Datenschutzbehörde CNIL sah das erstmal anders und wies die Beschwerde ab. Aber Mousse ließ nicht locker und zog vor Gericht, bis der Fall schließlich beim obersten europäischen Gericht, dem EuGH, landete.
Der EuGH: Anrede beim Ticketkauf? Nicht nötig!
Und was sagte der EuGH? Ziemlich deutlich: Die Angabe, ob jemand männlich oder weiblich ist (was ja durch "Herr" oder "Frau" indirekt abgefragt wird), ist für den Kauf eines Zugtickets nicht erforderlich. Punkt. Die Praxis von SNCF Connect war damit rechtswidrig, weil sie gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verstieß.
Warum ist die Anrede laut Gericht überflüssig?
Das Gericht hatte dafür einige gute Gründe:
- Keine objektive Notwendigkeit: Die DSGVO ist da streng. Daten dürfen nur verarbeitet werden, wenn sie objektiv für den Zweck gebraucht werden. Braucht man die Info "Herr" oder "Frau", um ein gültiges Ticket auszustellen, das von A nach B führt? Nein. Der Name, vielleicht das Geburtsdatum (für Altersrabatte), Zahlungsdaten - jawohl. Aber das Geschlecht? Irrelevant für die Bahnfahrt.
- "Aber wir wollen doch nur höflich sein!": SNCF Connect argumentierte, die Anrede sei wichtig für die Personalisierung, um Kunden nett anzusprechen ("Sehr geehrte Frau Müller..."). Der EuGH winkte aber auch das ab: Nett sein ist gut, aber die spezifische Anrede "Herr/Frau" ist dafür nicht unerlässlich. Man kann auch höflich und gleichzeitig inklusiv sein. Wie? Zum Beispiel mit "Guten Tag Max Mustermann" oder einfach "Hallo Vorname Nachname". Geht auch, oder? Und sammelt keine unnötigen Daten.
- Andere DSGVO-Stolpersteine: Selbst wenn man argumentieren würde, die Anrede sei irgendwie nützlich, gibt es weitere Hürden:
- Fehlende Info: Wenn ein Unternehmen Daten aufgrund eines "berechtigten Interesses" sammelt (ein juristischer Begriff, der oft als Begründung dient), muss es die Kunden klar darüber informieren. Wurde das hier ausreichend getan? Fraglich.
- Grundrechte gehen vor: Die DSGVO schützt unsere Grundrechte. Dazu gehört das Recht auf Schutz unserer persönlichen Daten und das Recht, nicht diskriminiert zu werden. Die Abfrage des Geschlechts, auch nur über die Anrede, kann aber genau das Risiko bergen - denken Sie an Menschen, die sich nicht eindeutig als "Herr" oder "Frau" identifizieren. Das Gericht sagt: Im Zweifel wiegen die Grundrechte der Kunden schwerer als das Interesse des Unternehmens an einer bestimmten Form der Ansprache.
Was heißt das jetzt konkret für Ihr Unternehmen?
Zuallererst einmal eine Würdigung an die Beteiligten. Dieser Fall ist schon Datenschutz auf die Spitze getrieben. Und ob es der Sache dienlich ist, sei dahingestellt. Dennoch kann man eine Menge daraus lernen.
- Stellen Sie die Gretchenfrage: Brauch ich das wirklich?
Gehen Sie mal Ihre Formulare durch: Welche Daten fragen Sie ab? Und bei jeder einzelnen Angabe: Ist die objektiv notwendig für den Zweck? Brauchen Sie die Telefonnummer wirklich für den Newsletter-Versand? Oder das Geburtsdatum des Kunden für alle Fälle? Muss die Anrede wirklich sein, um eine Bestellung oder Dienstleistung abzuwickeln? Allzu oft werden Daten aus Gewohnheit gesammelt oder weil "man das halt so macht". Interessant wird es, wenn dies, z.B. die Anrede, auch noch ein Pflichtfeld in der Software ist. Denn dieses Urteil sagt schon zu einem gewissen Grad: Schluss damit! Konzentrieren Sie sich auf das Wesentliche. Das spart nicht nur Ärger, sondern schafft auch Vertrauen bei Ihren Kunden. - Höflichkeit geht auch ohne Geschlechtszuordnung:
Wenn Sie Kunden persönlich ansprechen wollen (was ja gut ist!), überlegen Sie, ob es wirklich "Sehr geehrte Frau..." sein muss. Oft reicht "Hallo Vorname Nachname" völlig aus. Das ist neutral, inklusiv und vermeidet die Datensammelei. Testen Sie es mal! Viele Kunden werden es vielleicht gar nicht bemerken oder sogar positiv finden. - Vorsicht bei sensiblen Daten (auch indirekt!):
Die Anrede "Herr/Frau" scheint harmlos, aber sie fragt indirekt nach dem Geschlecht. Und das kann ein sensibles Datum sein, besonders für Menschen, die sich nicht in dieses binäre Schema einordnen lassen (Stichwort: divers). Seien Sie sich bewusst, dass auch scheinbar harmlose Abfragen datenschutzrechtlich relevant sind und Diskriminierungspotenzial bergen können. Und Ihre zentrale Datenschutz-Aufgabe ist, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen sicherzustellen. - Informieren Sie klar und deutlich:
Wenn Sie bestimmte Daten doch erheben wollen (und dafür eine Rechtsgrundlage wie das "berechtigte Interesse" haben), müssen Sie Ihre Kunden glasklar darüber informieren: Warum brauchen Sie diese Daten? Was machen Sie damit? Verstecken Sie das nicht im Kleingedruckten. Transparenz ist King! - Im Zweifel: Weniger ist mehr!
Das Prinzip der Datenminimierung ist keine Schikane, sondern ein Kernstück des modernen Datenschutzes. Es schützt Ihre Kunden und letztlich auch Sie vor rechtlichen Risiken. Wenn Sie unsicher sind, ob Sie ein Datum wirklich brauchen - lassen Sie es im Zweifel lieber weg. Oft werden Sie feststellen, dass gar nichts fehlt.
Fazit: Ein Weckruf für die Praxis
Das EuGH-Urteil ist mehr als nur eine Entscheidung über Zugtickets. Es ist ein Weckruf für alle Unternehmen, die Kundendaten verarbeiten. Es erinnert uns daran, dass wir sorgsam und verantwortungsbewusst mit den Informationen umgehen müssen, die uns unsere Kunden anvertrauen.
Gerade die hier behandelte Rechtssache mit der Anrede kann sich ausbreiten, denn es ist ein Datum, welches ständig erhoben wird - und nach diesem Urteil wohl in den meisten Fällen das Gebot der Datenminimierung nach Art. 5 (1) Buchst. c) DSGVO verletzt.
Ehrlich gesagt, ist es schon auch nachvollziehbar, wenn Leute sagen, dass sie wegen solchen Regelungen darin bestätigt fühlen, dass die DSGVO unnötig Bürokratie verursacht.
Aber die Association Mousse hatte sicherlich Gründe, diese Rechtsprechung zu erreichen. Und weil es jetzt so ist, wie es ist, habe ich mir schon mal Popcorn geholt und warte nun genüsslich, bis auch die deutschen Aufsichtsbehörden das Urteil ins Land/die Unternehmen tragen…
